„Es ist eine Mega-Verantwortung“ - (SVZ - Parchimer Zeitung 2.9.2023)

Außer Paddeln auf der Seenplatte habe ich keine Erfahrung gehabt“, sagt Steffi Pulz-Debler. Jetzt liegt eine Woche Training auf dem Seenotretter „Mare*Go“ hinter und eine Woche Einsatz vor ihr.

An diesem Sonnabend bricht die Linken-Landtagsabgeordnete aus dem kleinen Parchim in Mecklenburg-Vorpommern dann in das Mittelmeergebiet zwischen Tunesien und der italienischen Insel Lampedusa auf, um Menschen in Seenot zu retten. Es ist das Lampedusa, das immer wieder in den Schlagzeilen ist – mit dem überfüllten Flüchtlingslager, mit Schiffsbrüchigen, mit Toten vor der Küste. Pulz-Debler ist noch im Hafen Licata, als wir mit ihr per Telefon sprechen. „Es geht mir darum, das Abstrakte real zu begreifen. Wir reden viel über Flüchtlinge und es ist wie mit allem: Wenn man es nicht einmal erlebt hat, bleibt es abstrakt.“ Zudem versagten die öffentlichen Einrichtungen. Es gäbe keine staatliche oder europäische Seenotrettung mehr, einfache Regeln würden nicht mehr geachtet. „Ich sehe jetzt, was diese Missionen für ein Kraftakt sind. Und es geht auch darum, die ,Mare*Go‘ zu unterstützen, die ja aus MV kommt. Ein Einsatz alleine kostet 11 000 Euro.“ Das Training, das die 42-Jährige mit den anderen sechs Crewmitgliedern absolviert, besteht aus Theorie, aus Übungen, wie man Menschen an Bord bringt, wie man Schwimmwesten verteilt, aus Informationen über Bootstypen. „Sind die Boote aus Holz, aus Blech, aus Kunststoff?“ Wissen, das Leben retten kann. Elf bis zwölf Stunden täglich trainiere die Crew. „Und jetzt will ich raus“, sagt Pulz-Debler. Die Gefühle, die sie dabei bewegen, kommen meistens abends im Bett. „Es ist eine Mega-Verantwortung.“ Dabei sei auch die Angst, Fehler zu machen, die sich eventuell auch auf die Crew und die Menschen, die man retten wolle, auswirken. „Und ich frage mich wirklich, ob es ernst gemeint ist, wenn es heißt, die Menschen kommen aus Spaß aufs Mittelmeer, weil in Europa ein leichtes Leben auf sie wartet.“ Niemand steige freiwillig in solche Boote. Im Vorfeld hat Steffi Pulz-Debler auch eine Psychologin gefragt, wie sie mit Bildern umgehen könne, die nur schwer zu ertragen sind. Das Team der „Mare*Go“ stelle bei Bedarf auch psychologische Betreuung zur Verfügung. Ihr Umfeld zu Hause unterstützt sie zudem.Aber was ist mit denen, die nicht müde werden, diese Rettungsaktionen ins schlechte Licht zu rücken, mit denen, die von Schleppern reden, die man unterstütze, mit denen, die stetig das Wort von der „illegalen Massenintegration“ im Munde führen? Was entgegnet sie ihnen, ist vielleicht auch was dran? „Die Rettungsmissionen sind nachweislich kein Faktor, der die Zahl der Flüchtlinge nach oben treibt. Das, was die Menschen antreibt, sind Kriege, Verfolgung, beispielsweise aufgrund der Sexualität, Katastrophen. Das sind die Faktoren, die die Menschen zur Flucht treiben – und auch auf diesen gefährlichen Fluchtweg Mittelmeer.“